Perfektionismus kann sich positiv oder negativ auf die eigenen Leistungen und das Wohlbefinden auswirken.
Wir unterscheiden zwei Arten:
Während Lernprozesse vom funktionalen Perfektionismus angetrieben werden, werden sie vom dysfunktionalen gehemmt. Der dysfunktionale Perfektionismus kann einen Teufelskreis auslösen und sich negativ auf die gesamte Schulzeit auswirken.
Mit dem Schuleintritt machen Kinder erste Misserfolgserfahrungen, die von außen bewertet werden. Jenen, die einen hohen eigenen Anspruch haben, kann das Schwierigkeiten bereiten. Sie nehmen sich Fehler und Kritik sehr zu Herzen und es gelingt nur schwer, konstruktiv damit umzugehen. Nicht selten reagieren diese Kinder stark emotional, z.B. mit Wutausbrüchen. Das kann auch Eltern verunsichern, da derart emotionale Reaktionen für sie nicht nachvollziehbar sind („Es ist doch nur ein Fehler.“).
Herausfordernd ist der dysfunktionale Perfektionismus vor allem deshalb, weil er zu einem Vermeidungsverhalten führen kann. Je öfter Frust beim Lernen erfahren wird, desto mehr beginnen Kinder, diesen Situationen aus dem Weg zu gehen. Das äußert sich zunächst im Aufschieben und schließlich im Vermeiden.
Ein Vermeidungsverhalten kann auch fachbezogen sein, wenn perfektionistische Kinder nur in einem Fach mehrfach negative Lernerfahrungen sammeln und ihren hohen Anspruch darin nicht erfüllen können. So kann es sein, dass ein Kind partout nicht vorlesen möchte, da es immer korrigiert wird. Ein anderes Kind kann seine hohen Ansprüche vielleicht beim Rechnen nicht erfüllen. Viele Eltern machen auch die Erfahrung, dass sich ihr Kind nur dann an ein Aufgabenfeld wagt, wenn es darin schon fortgeschrittene Fähigkeiten aufweist.
Merkmale von Kindern, die einen dysfunktionalen Perfektionismus aufweisen:
Woher kommt Perfektionismus?
Oft suchen Eltern zunächst Erklärung bei sich selbst. Habe ich zu hohe Ansprüche an mein Kind? Bin ich zu leistungsorientiert? Tatsächlich muss Perfektionismus nicht zwingend mit dem Elternverhalten zu tun haben, auch wenn es den Perfektionismus fördern kann.
Häufig sind Kinder, die ein perfektionistisches Verhalten aufweisen, von Natur aus leistungsorientiert. Es gehört zu ihrem Charakter, Dinge besonders ordentlich und gut machen zu wollen. Sie schenken ihren Aufgaben und Tätigkeiten sehr viel Aufmerksamkeit und Mühe. Erzielen sie nicht das gewünschte Ergebnis, löst das umso mehr Frust aus.
Es kann vorkommen, dass bestimmte Situationen den Leistungsdruck beim Kind erhöhen, obwohl sie eigentlich das Gegenteil bewirken sollten. Dazu gehört übermäßiges Lob. Wenn Kinder für sich selbst das Gefühl haben, gescheitert zu sein, kann übermäßiges Lob sie noch mehr frustrieren, da sie es nicht ernst nehmen können. Es wirkt dann auf sie wie ein getarnter Angriff, obwohl Eltern und Lehrkräfte es gut meinen.
Was Ihnen helfen kann, wenn Sie bei Ihrem Kind einen dysfunktionalen Perfektionismus beobachten:
Achten Sie darauf, Ihr Kind ganzheitlich wertzuschätzen. In vielen Familien ist Schule das Thema Nr. 1. Wenn Kinder in der Schule viel Frust erleben, kann es eine große Belastung sein, dass Schule auch im Familienleben einen großen Stellenwert einnimmt. Statt zu fragen „Wie lief es heute in der Schule?“, fragen Sie lieber „Was war heute dein schönster Moment?“
Nutzen Sie das Zauberwort „noch“. Wenn Ihr Kind einen Fehler macht, kann es sein, dass es mit einem Wutausbruch reagiert und diesen Fehler auf sein ganzes Können bezieht: „Ich kann das nicht“. Korrigieren Sie Ihr Kind liebevoll mit einem „noch“, sodass aus einem „Ich kann das nicht“ ein „Ich kann das noch nicht“ wird. Das spornt zu weiteren Versuchen an, während ein „Ich kann das nicht“ Resignation auslöst. Achten Sie auch darauf, das „noch“ in Ihren eigenen Aussagen zu nutzen, z.B. wenn auch Ihnen etwas nicht auf Anhieb gelingt.
Es hilft Kindern sehr, sich ein Role Model (Vorbild) zu suchen. Gibt es eine bekannte Person, die Ihr Kind fasziniert. Machen Sie diese gemeinsam zum Role Model Ihres Kindes. Überlegen Sie, was diese Person ausmacht. Lassen Sie Ihr Kind erzählen, warum es von dieser Person fasziniert ist (das kann z.B. eine Comicfigur oder eine Serienfigur sein. Auch Schauspieler:innen; Künstler:innen, Musiker:innen kommen in Frage. Ebenso jemand aus dem Freundeskreis oder eine verwandte Person). Erstellen Sie zusammen ein Role-Model-Plakat, auf dem Eigenschaften des Role Models zu sehen sind. Am besten gelingt es, wenn Sie ein gemeinsames Projekt daraus machen und auch Sie sich ein Role Model suchen.
Wenn Ihr Kind ein Frusterlebnis hat, gehen Sie gemeinsam zum Role-Model-Plakat, um zu überlegen: „Was würde … in so einer Situation tun?“. Steckt Ihr Kind im Frust fest, fällt es ihm schwer, darüber nachzudenken, wie es nun weitermachen könnte und welche Lösungen es gäbe. Ein Misserfolg kann es derart angreifen, dass es sich in dem Moment selbst keine Lösungen zutraut und blockiert. Viel leichter fällt es ihm hingegen, in solchen Situationen zu überlegen, was sein Vorbild machen würde und sich dann daran zu orientieren. Nach und nach kann es so ein Verhalten eintrainieren, das ihm in Frustsituationen helfen kann. Das nennt man Lernen am Modell.
Am wichtigsten bei Kindern mit einem hohen Selbstanspruch ist es, eine positive Fehlerkultur zu etablieren, denn diese Kinder betrachten Fehler oft als große Hinderer. Das ist deshalb so problematisch, weil sich Fehler gar nicht vermeiden lassen. Sie sind fester Bestandteil des Lernprozesses und wichtig, um zu wachsen. Regen Sie Ihr Kind daher an, Fehler als Helfer zu begreifen. Denken Sie gemeinsam über vergangene Fehler nach, die für Ihr Kind frustrierend waren. Überlegen Sie, inwiefern die entsprechenden Fehler auch Helfer waren. Was konnte Ihr Kind dadurch lernen?
Wenn bereits ein Umdenken in Bezug auf Fehler stattgefunden hat, kann auch eine kleine Ausstellung mit den besten Fehlern/Helfern geplant werden, z.B. mit den Top 3. Diese werden dann im Zimmer aufgehängt und erinnern immer daran, dass Fehler super Helfer sein können. Die Top 3 kann auch immer wieder aktualisiert werden.
Zu einer positiven Fehlerkultur trägt auch bei, sich mit Fehlern oder vermeintlichen Misserfolgen zu beschäftigen, die sich in der Geschichte der Menschheit als großartig erwiesen haben.
Viele Frusterlebnisse lassen sich bereits im Vorfeld vermeiden. Lernt Ihr Kind Konzentrationstechniken kennen und arbeitet es mit Pausen, macht es beispielsweise weniger Flüchtigkeitsfehler. Kennt es clevere Strategien, um sich auch abstrakten Lernstoff leicht zu merken (z.B. die Locitechnik oder die Körperlistentechnik), vermeidet es die Erfahrung, Merkstoff in der Klassenarbeit nicht abrufen zu können. Es lohnt sich also einen Werkzeugkoffer an cleveren Lernstrategien und -techniken anzulegen.